In der Schweiz ist das Verhältnis von Stromproduktion zu Stromverbrauch über ein Jahr gesehen etwa ausgeglichen, meist resultiert sogar ein kleiner Exportüberschuss von einigen Prozentpunkten. Im Sommer können die Speicherseen gefüllt und dann noch überschüssiger Strom exportiert werden. Im Winter wird das Reservoir der Speicherseen verstromt und fehlende Energie importiert. Eine wesentliche Stütze ist die Kernenergie, die einen Sockel von rund 2’000 GWh pro Monat liefert – ausser im Sommer während Revisionsstillständen.
Die Energiestrategie 2050 wurde in Folge des beschlossenen Ausstiegs aus der Kernenergie in die Wege geleitet. Die zukünftige Versorgung mit Strom ist deshalb eine ganz zentrale Herausforderung, weil rund ein Drittel der Stromproduktion in der Schweiz aus Kernenergie stammt. Die bislang wesentlichste gesetzliche Basis für die Energiestrategie ist das revidierte Energiegesetz (EnG), welches seit 2018 in Kraft ist. Es enthält verschiedene Massnahmen, mit denen der Energieverbrauch gesenkt, die Energieeffizienz erhöht und die erneuerbaren Energien gefördert werden sollen. Die Abhängigkeit von importierten fossilen Energien soll reduziert und die einheimischen erneuerbaren Energien sollen gestärkt werden.
Wasserkraft ist mit Abstand die wichtigste erneuerbare Energie, die in der Schweiz produziert wird. Entsprechend gross sind die Hoffnungen, dass mit der Wasserkraft ein Teil der wegfallenden Produktion aus Kernenergie ersetzt werden kann. Gemäss Energiestrategie soll bei der Wasserkraft bis 2050 ein Nettozubau von 3’200 GWh erfolgen. Mit der revidierten Einschätzung des Potenzials der Wasserkraft durch das BFE vom August 2019 hat diese Hoffnung einen Dämpfer erhalten. Gegenüber 2012 wird das Potenzial um 1’600 GWh tiefer eingeschätzt, also nur noch halb so hoch wie 2012. Wermutstropfen bilden Seen in Geländemulden, die im Vorland der Gletscher entstehen, wenn diese abschmelzen. Es gibt mehrere geeignete Standorte, an denen neue Staumauern für Speicherseen gebaut werden könnten. Dieses Potenzial wurde 2012 noch nicht berücksichtigt. Es beträgt rund 700 GWh. Das ist eine Energiemenge, die dank Speicherung zusätzlich vom Sommer in den Winter verlagert werden kann.
Ob es sinnvoll ist, das Potenzial der neuen Gletscherrand-Speicherseen zu berücksichtigen, ohne gleichzeitig den Wegfall der Speicherfunktion der Gletscher ebenfalls ins Kalkül mit einzubeziehen, sei dahingestellt. Bottom Line für die Wasserkraft ist wohl, dass unter optimalen Voraussetzungen eine Kapazitätserweiterung von gut 2 TWh erwartet werden kann. Das ist nicht wenig aber es entspricht auch nicht mehr als der Energiemenge, die mit Kernenergie in einem einzigen Wintermonat produziert wird.
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb die Wasserkraft die Annahmen aus der Energiestrategie kaum erfüllen wird. Der wichtigste Grund dürfte bei der zweifelhaften Rentabilitätserwartung liegen. Investitionen lohnen sich nur dann, wenn sie innerhalb der Restlaufzeit der Konzession amortisiert werden können. In den kommenden Jahren sind aber viele Konzessionen vom Heimfall betroffen. Die Bedingungen für eine allfällige Konzessionserneuerung müssen deshalb geklärt sein, bevor investiert wird. Ein zweiter wesentlicher Kostenfaktor ist der Wasserzins selbst. Bei tiefen Marktpreisen macht dieser einen wesentlichen Teil der Gestehungskosten aus, so dass keine Reserven für Erweiterungs- und Neubauten gebildet werden können. Auch die schärferen Auflagen bezüglich Restwasser mindern den Ertrag und Einsprachen können ausführungsreife Projekte während Jahren blockieren. Marktseitig ist die Strompreisentwicklung mit grosser Unsicherheit behaftet. Zwar will man in Deutschland und Frankreich konventionelle Erzeugungskapazitäten (Kohle & Kernkraft) zurückfahren, gleichzeitig werden aber Windkraft und Photovoltaik erheblich subventioniert und Backup Kapazitäten eingerichtet. Ob es unter diesen Umständen der Schweizer Speicherwasserkraft möglich sein wird, den Vorteil der schnellen Regulierbarkeit ihrer Kraftwerke ertragreich umzusetzen, ist aus heutiger Sicht ungewiss.
Bleibt die Stromproduktion aus anderen Quellen. Mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke in der Schweiz sind veraltet und grösstenteils stillgelegt. Wärme Kraft Kopplungs-Anlagen kompensieren mehr oder weniger die weggefallene Produktion. Neubauprojekte – beispielsweise Gas- und Dampfkraftwerke – werden aus Rentabilitätsgründen nicht realisiert.
Photovoltaik wächst zurzeit rasant. Die Ausbauziele für 2050 können möglicherweise erreicht werden. PV Anlagen kombiniert mit Kurzzeitspeichern ermöglichen eine teilautonome dezentrale Stromversorgung. PV konkurrenziert im Sommer aber auch relativ direkt die Laufwasserkraft. Im Winter wird zumindest im Flachland aufgrund des tiefen Sonnenstandes und den häufigen Hochnebellagen deutlich weniger produziert.
Bei der Windkraft verläuft der Ausbau aufgrund von Einsprachen schleppend. Die Schweiz ist wegen den meist schwachen Winden aber auch kein Land, das für Windkraft prädestiniert wäre. Die Nutzungsdauern – das Verhältnis von produziertem Strom (kWh) zur installierten Leistung (kW) – der Windanlagen an den Küsten liegen deutlich höher, ihre Rentabilität ist entsprechend besser.
Bei der Biomasse kann man davon ausgehen, dass die Menge im Abfall in etwa gleichbleiben wird. Für eine Steigerung der Stromproduktion aus Biomasse müssten also andere Fraktionen kräftig zulegen. Der Interessenskonflikt zwischen Energiepflanzen und der Nahrungsmittelproduktion limitiert aber das Potenzial. Zudem ist düngerintensiver Anbau von Pflanzen für die Gewinnung von Bioenergie bzw. Futtermitteln – z.B. Mais – mit signifikanten Emissionen von Lachgas (N2O) verbunden, was deren Klimaneutralität zunichte macht. N2O trägt etwa 10% zum Treibhauseffekt bei und schädigt die Ozonschicht, wenn es in die Stratosphäre gelangt.
Last and least sei noch die Geothermie erwähnt, die aufgrund verschiedener Probleme nicht aus den Startlöchern kommt. Ob die Geothermie dereinst den ihr zugedachten Anteil an die Stromproduktion liefern wird ist daher ungewiss.
In der Botschaft zur Energiestrategie wird angenommen, dass die Laufzeit der Kernkraftwerke in der Schweiz 50 Jahre beträgt. Unter dieser Annahme würde sich in der Jahresbilanz schon bald eine erhebliche Lücke zwischen der inländischen Produktion und dem Verbrauch auftun. Gemäss den Annahmen aus der Botschaft würden im Jahr 2035 über 10 TWh fehlen.
Immerhin zeichnet sich zwischenzeitlich ab, dass die für 2020 anvisierte Reduktion des Pro-Kopf-Stromverbrauchs bereits deutlich übertroffen wird (-8% statt -3%).
Die nachfolgende Differenzierung in Monatsbilanzen macht deutlich, dass das Defizit v.a. im Winter gravierend wird. Berücksichtigt sind in dieser Analyse die quantitativen Zielwerte aus dem EnG gemäss der Botschaft 2021 des Bundesrates zum Mantelerlass EnG / StromVG an das Parlament und eine Abschätzung der Aufteilung der erneuerbaren Produktion aus Biomasse, Wind und Wasserkraft gemäss den Quartalswerten der KEV-Statistik, weiter differenziert nach Monaten. Für die Aufteilung von PV wurde eine Studie von Basler und Hofmann verwendet, die für Energieschweiz erstellt wurde. Pumpenergie und Verluste wurden unverändert aus den Mittelwerten 2000 – 2019 übernommen.Tatsächlich müssten beide Werte etwas höher eingesetzt werden, so dass der Importsaldo noch etwas negativer ausfallen würde, als hier ausgewiesen.
In der obigen Grafik wurde angenommen, dass beim Zubau von 14 TWh PV keine besonderen Anforderungen bezüglich Ausrichtung der Paneele gemacht wird. Beim «Zubau wie bisher» (ZWB) werden die Anlagen auf maximalen Jahresertrag ausgerichtet. D.h. ein Grossteil der Produktion fällt im Sommer an. Gemäss der «Studie Winterstrom Schweiz» von energieschweiz 2019 kann mit der Ausrichtung der Paneele Einfluss auf den Anteil genommen werden, der im Winter produziert wird.
Es gibt aber auch die Möglichkeit, Paneele auf einen höheren Winterertrag auszurichten, was in untenstehender Grafik dargestellt ist. Wenn schon Anreize für den Ausbau von PV gesetzt werden, dann sollten sie einen «Anreiz für Winterproduktion» (AWS) setzen. Das reduziert den Überschuss im Sommer und bringt etwas mehr im Winter – ein signifikanter Importbedarf bleibt aber trotzdem bestehen.
Solange die Sicherheit der KKW vom Eidgenössischen Starkstrominspektorat (Ensi) bestätigt wird und die Eigentümer den Betrieb weiterführen wollen, können Kernkraftwerke in der Schweiz auch länger betrieben werden. Bei einer angenommenen Betriebsdauer von 60 Jahren wären immerhin die beiden grössten Werke 2035 immer noch am Netz (Gösgen bis 2039 und Leibstadt bis 2043), so dass die Jahresbilanz 2035 noch ausgeglichen ist bzw. einen Überschuss ausweist.
Die monatliche Auflösung zeigt, dass solange die Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt am Netz bleiben, die Importabhängigkeit im Winter etwa gleich bleibt wie heute bzw. bei winterstromoptimierter Ausrichtung der PV-Paneele sogar etwas geringer ist. Im Sommer resultiert ein etwas höherer Überschuss als heute. Allerdings kommt die Überschussenergie im Sommer auf den Markt, wenn auch in den Nachbarländern viel Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wird.
Untenstehende Grafik zeigt die Situation 2050, wenn die Zubauziele gem. Botschaft 2021 des Bundesrates zum Mantelerlass EnG / StromVG realisiert werden. Gezeigt ist das Szenarium mit einer winterstomoptimierten Ausrichtung der PV-Paneele (AWS). Für Windkraft und Biomasse wurde angenommen, dass die Potenziale gem. BFE 2012 ausgeschöpft werden. Der Rest des Zubauziels von 39 TWh müsste von PV kommen, da bei der Wasserkraft sich Mehr- und Minderproduktion etwa die Waage halten. Nicht berücksichtigt ist die in der Energieperspektive 2050+ postulierte Verbrauchszunahme für Elektromobilität und Heizung mit Wärmepumpen. Demnach soll der Verbrauch von heute etwas unter 60 TWh auf über 80 TWh zunehmen. Das würde den Überschuss im Sommer reduzieren und den Importbedarf im Winter signifikant erhöhen.
Es wird deutlicher denn je, dass der forcierte Ausbau der PV, selbst wenn dieser auf Winterproduktion ausgerichtet ist, einerseits den Imporbedarf im Winter vergrössert und andrerseits die Überschüsse im Sommer ebenfalls signifikant zunehmen.
So wie sich die Sachlage präsentiert, muss man sich bis 2035 bezüglich der verfügbaren Produktionskapazitäten in der Schweiz keine allzu grossen Sorgen machen. Danach wird sich aber mit der Stillegung der letzten Kernkraftwerke im Winter schon bald eine Situation abzeichnen, bei der die Versorgung der Schweiz auf zusätzliche in- und ausländische Stromproduktionskapazitäten angewiesen sein wird.
Man kann es drehen und wenden wie man will, der Wegfall grundlastfähiger Kraftwerke vergrössert im Winter das Defizit an inländischer Stromproduktion signifikant. Die Nutzung von Gletscherrandseen und der Ausbau der neuen erneuerbaren Energien mögen das Defizit etwas verkleinern, aus der Welt ist es damit aber nicht. Da hilft auch die Erfindung immer neuer und noch umfangreicherer Subventionstatbestände nichts. Die neue Potenzialabschätzung des BFE zeigt klar, dass mit mehr Geld – etwa zu Gunsten der Schweizer Wasserkraft – entgegen den Beteuerungen der Eigentümer und der Gebirgskantone – die Versorgungssicherheit nicht signifikant verbessert werden kann, da dieses Potenzial weitgehend ausgeschöpft ist.
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