Seit 2018 muss in der Schweiz jede gelieferte kWh Strom mit einem Herkunftsnachweis (HKN) hinterlegt werden. Lieferanten müssen ihren Kunden mitteilen, aus welchen Quellen der gelieferte Strom stammt. Die vorher v.a. bei Industriekunden übliche Praxis, börsengehandelten Strom als «Strom unbekannter Herkunft» bzw. als «Graustrom» zu deklarieren, ist seither nicht mehr zulässig.

Deklarationspflichtig sind die Stromlieferanten. Diese müssen sicherstellen, dass sie für ihre Lieferungen Herkunftsnachweisen beibringen können. Endverbraucher müssen sich nicht um HKN kümmern, wenn sie das nicht wollen. Sie können nicht gezwungen werden, sich auf bestimmte HKN festzulegen bzw. extra dafür zu bezahlen.

Falls es Endverbrauchern trotzdem wichtig ist, eine bestimmte Stromqualität zu beziehen, können sie diese erwerben – beispielsweise HKN für 100% Schweizer Wasserkraft. Im Gegensatz zu Endverbrauchern, denen die keine spezifische Stromqualität wünschen, müssen solche Präferenzen in der Regel zusätzlich abgegolten werden.

Im Bestreben, die angeblich darbende Schweizer Wasserkraft zu stützen, werden nicht nur laufend neue Subventionierungstatbestände kreiert (Marktprämie, Investitionsbeiträge, Einmalvergütungen, Winterreserve), es werden manchmal auch Ideen ventiliert, die ziemlich genau das Gegenteil ihres gut gemeinten Begehrens bewirken. Eine solche Idee ist die Zertifizierung der Stromqualität mit Herkunftsnachweisen (= HKN) auf monatlicher Basis.

Da bei der Stromversorgung aus physikalischen Gründen immer genau so viel Strom in das Stromnetz eingespiesen werden muss, wie daraus entnommen wird (Produktion = Verbrauch), müssten die HKNs eigentlich ebenfalls dieser feinen zeitlichen Abstimmung von Produktion und Verbrauch folgen. Wenn also ein Kunde Solarstrom verbrauchen will, müsste für ihn irgendwo im Netz gerade entsprechend viel PV-Strom produziert und eingespiesen werden. Das ist in der Regel aber nicht so. Die Menge an produziertem Strom wird stattdessen mit Zertifikaten versehen, die wiederum völlig unabhängig vom Produktions- bzw. vom Verbrauchszeitpunkt sind. Es ist illusorisch zu meinen, dass bei den Verbrauchern immer nur die Qualität Strom aus Steckdose kommt, die auf der Deklaration des Lieferanten angegeben ist bzw. die man für seinen Verbrauch bestellt hat. Im europaweit verbundenen Netz fliesst der Strom entlang des geringsten Widerstandes von den Kraftwerken zu den Verbrauchern. Einmal pro Jahr wird der effektive Stromverbrauch mit HKN hinterlegt, unabhängig davon, was unterjährig aus den Steckdosen geflossen ist.

Was eine monatliche Abrechnung der HKN für die Versorgung der Schweizer Endverbraucher bedeutet, kann mit folgender Grafik illustriert werden. Sie zeigt einerseits den Endverbrauch in der Schweiz (rote Linie) und die Produktion mit erneuerbaren Energien  (Säulen) in monatlicher Auflösung. Es wird deutlich, dass in den Sommermonaten etwas mehr Strom aus erneuerbaren Quellen produziert als verbraucht wird. Im Winter reicht die inländische Produktion nicht aus, um den Endverbrauch mit HKNs aus erneuerbarer Produktion zu decken.

Stromendverbrauch in der Schweiz und Produktion erneuerbarer Energien

Im Sommer sind die Preise für HKN wegen dem ausreichenden Angebot eher günstig, während sie im Winter ins unermessliche steigen, weil nicht genug davon verfügbar sind. Es müssten im Winter auf jeden Fall Zertifikate importiert werden, spätestens wenn die Stromproduktion aus Kernenergie in der Schweiz stillgelegt wird.

Auch die ebenfalls diskutierte zeitliche Differenzierung auf Quartale bringt nichts. Es gibt kein einziges Quartal, in welchem der Endverbrauch mit HKNs aus erneuerbarer Schweizer Produktion gedeckt werden könnte.

Sowohl eine monatliche wie auch eine Bilanzierung auf Quartalsbasis würde einzig Zertifizierern dienen, d.h. zusätzlichen Administrationsaufwand generieren.

Richtig krass wird die Situation, wenn sich der Endverbrauch in der Schweiz und die Produktion gemäss den Energieperspektiven 2050+ des BFE entwickeln sollte. Aufgrund des grossen Überangebots wären Sommerzertifikate praktisch gratis zu haben, während der Preis für Winterzerifikate ins Unermessliche steigen würde.

Die folgende Grafik zeigt Produktion und Verbrauch gemäss EP2050+ in Monatsauflösung. Der dunkelblaue Ausfuhr- / Einfuhrüberschuss spiegelt den Überschuss bzw. den Mangel an inländischen HKNs aus erneuerbaren Energien. Die bisher praktizierte Bilanzierung auf Jahresbasis würde immerhin erlauben, die überschüssigen Zertifikate aus dem Sommer in den Winter zu transferieren.

Monatsbilanzen für 2050 gemäss den Energieperspektiven 2050+ des BFE
 

Man kann es drehen und wenden, wie man will; wollte man als Endverbraucher sicher sein, dass die Stromqualität, die man aus dem Netz bezieht, derjenigen entspricht, die mit HKNs ausgewiesen wird, müsste man ein Produkt kaufen, das garantiert dem Bezug folgend in Echtzeit mit den entsprechenden Produktionsanlagen einspeist, beispielsweise Schweizer Wasserkraft oder Sonnenenergie. Sofern man berechtigt ist, Strom am Markt zu kaufen, kann man sich einen Lieferanten suchen, der ein solches Produkt anbietet – die gibt es. Dann wären wenigstens Produktion und Verbrauch in Einklang, auch wenn die Elektronen im Netz weiterhin den kirchhoffschen Regeln folgend den Weg des geringsten Widerstandes vom Produktionsort zum Verbrauchsort einschlagen und kaum jemals bei dem Endkonsumenten aus der Steckdose kommen, der sie bestellt hat.

HKN sind v.a. dann nützlich, wenn man als Endverbraucher bestimmte Produktionsformen unterstützen will und bereit ist, dafür speziell etwas aufzuwenden. Man hat mit den HKN die Gewähr, dass der verbrauchte Strom tatsächlich mit der entsprechenden Technologie produziert worden ist. Die zeitliche Übereinstimmung von Produktion und Verbrauch, die für eine stabile Versorgung unerlässlich ist, ist aber weder mit einer monatlichen, quartalsweisen noch einer jährlichen Auflösung gegeben.

Der Kanton Basel-Stadt wähnt sich mit seiner Energiepolitik in einer nationalen Vorreiterrolle und ist entsprechend erfinderisch im Kreieren neuer Regulierungen. Im seit Oktober 2017 gültigen Energiegesetz und der entsprechenden Verordnung wird von den Lieferanten, die Endkunden im freien Markt beliefern, verlangt, dass sie ihre Lieferungen mit 100% HKN aus erneuerbarer Produktion mit Schweizer Zertifikaten «aufwerten». Gefangene Kunden im Netzgebiet des Stadtwerkes (Industrielle Werke Basel – IWB) werden gemäss Deklaration mit 100% erneuerbarem Strom aus der Schweiz beliefert. IWB verfügt über erneuerbare Produktionskapazitäten, die mehr als den Strombedarf in ihrem Versorgungsgebiet abdecken. D.h. es gibt im Produktionspark der IWB überschüssige HKNs aus erneuerbarer Produktion, die man wohl gerne zu Geld machen würde.

Während es dem Kanton bzw. seinen Bürgern als Eigentümer der IWB unbenommen ist, im Monopol nur bestimmte Produkte zu verkaufen, gelten im Markt andere Regeln.

Diese Bestimmungen könnten für andere Kantone Signalwirkung und für die Verbraucher signifikante Kostenfolgen haben. Sie werfen grundsätzliche Fragestellungen auf, die in einem von der GGS in Auftrag gegebenen juristisch fundierten Gutachten kurz zusammengefasst folgendermassen beurteilt worden sind:

  1. Darf der Kanton Basel-Stadt vorschreiben, dass im liberalisierten Markt nur noch Strom aus erneuerbaren Energien bezogen werden darf? Ist diese Bestimmung konform zum übergeordneten Recht?

Die Beschränkung auf Strom aus erneuerbaren Energien impliziert ein Verbot des Bezugs von Strom aus nicht erneuerbaren Energiequellen, insbesondere von elektrischer Energie aus Kernanlagen.

Die Regelung dieser Frage steht nach Art. 91 Bundesverfassung dem Bund zu und nicht dem Kanton Basel-Stadt. Der Bund hat hierzu eine Aussage getroffen: Mit dem revidierten Energiegesetz des Bundes wurde bewusst von einem sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie abgesehen und ein schrittweises Vorgehen gewählt. Weil gemäss Art. 49 Bundesverfassung Bundesrecht kantonalem Recht vorgeht, kann der Kanton Basel-Stadt nicht verbindlich vorschreiben, dass im liberalisierten Markt nur noch Strom aus erneuerbaren Energien bezogen werden darf.

  1. Wie ist die Verpflichtung zum Kauf von Schweizer Zertifikaten in § 8 Abs. 2 EnV-BS auszulegen?

In den hier besprochen Rechtsgrundlagen wird zwischen Herkunftsnachweisen für erneuerbare Energien (§ 2 Abs. 3 EnG-BS und § 8 Abs. 1 EnV-BS) und Schweizer Zertifikaten (§ 8 Abs. 2 Satz 2 EnV-BS) differenziert. Die Forderung in § 8 Abs. 2 Satz 2 EnV-BS stellt eine wesentliche Verschärfung des Gesetzesartikels dar. Eine gesetzeskonforme Auslegung dieses Satzes hat zur Folge, dass diese Bestimmung nicht angewendet werden kann.

Um den Anforderungen von § 2 Abs. 3 EnG-BS und § 8 Abs. 1 EnV-BS zu genügen, können europäische Herkunftsnachweise (erneuerbar) verwendet werden.

  1. Falls im Kanton Basel-Stadt im liberalisierten Markt nur noch Strom aus erneuerbaren Energien mit Zertifikat/Herkunftsnachweis aus der Schweiz gekauft werden darf: In welchem Verfahren kann man sich dagegen wehren und wie stehen die Erfolgsaussichten?

Da mittlerweile gewisse Fristen für die Normenkontrolle ungenutzt verstrichen sind, bleibt nur der Weg, gegen konkrete Anordnungen im Einzelfall Beschwerde zu führen. Eine entsprechende Verfügung des Amtes für Umwelt und Energie, die gestützt auf § 2 Abs. 3 EnG-BS und § 8 EnV-BS ergangen ist, kann angefochten werden.

Alternativ kann bereits im Vorfeld eine Feststellungsverfügung verlangt werden.

Gegen Verfügungen des Amtes für Umwelt und Energie steht den Betroffenen ein Rekursrecht an das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt zu (§ 75 Abs. 1 EnV-BS i. V. m. § 41 ff. des Gesetzes betreffend die Organisation des Regierungsrates und der Verwaltung des Kantons Basel-Stadt).

Der Rekurs ist innert 10 Tagen seit Eröffnung der Verfügung bei der Rekursinstanz anzumelden. Innert 30 Tagen, vom gleichen Zeitpunkt an gerechnet, ist die Rekursbegründung einzureichen, welche die Anträge des Rekurrenten und deren Begründung mit Angabe der Beweismittel zu enthalten hat.

Der Entscheid kann an das Appellationsgericht und schliesslich das Bundesgericht weitergezogen werden.

In beiden Fällen (Verpflichtung zum Bezug von erneuerbarer Energie im freien Markt und Verpflichtung auf ein Schweizer Zertifikat beim Bezug von sogenanntem «Graustrom») überwiegen die Chancen auf Obsiegen.

Das fünfzigseitige Gutachten geht detailliert und differenziert auf die hier summarisch zusammengefassten Fragestellungen und Beurteilungen ein. Für Mitglieder der GGS ist es im Memberbereich dieser Website abrufbar. Nichtmitglieder können gegen eine Umtriebsentschädigung von CHF 250.- über den Button «Kontakt» auf der Website www.stromkunden.ch ein elektronisches Exemplar bestellen.

Haftungsausschluss: siehe Impressum auf der Website