Die Sicherheit der Stromversorgung hängt von vielen Faktoren ab.
Den Beitrag zu Energiestrategie und Versorgungssicherheit finden Sie unter Facts & Figures
Die ElCom hat unter anderem die Aufgabe, die Sicherheit der Stromversorgung in der Schweiz zu überwachen. Sie veröffentlicht ihre Beurteilung periodisch in einem Bericht. Das Dokument «Stromversorgungssicherheit der Schweiz 2018 – Bericht der ElCom» ist öffentlich verfügbar: https://www.elcom.admin.ch/elcom/de/home/dokumentation/berichte-und-studien.html
Zur Beurteilung werden die sog. «Beobachtungsbereiche» (Netze, Produktion, Kosten und Tarife, Umfeld) in «Beobachtungsdimensionen» unterteilt und diese wiederum mit «Beobachtungsgrössen» erfasst.
Interessant und aufschlussreich sind die Entwicklungen in einzelnen Beobachtungsdimensionen. Kritisch ist ein Risiko, wenn sowohl die Eintretenswahrscheinlichkeit wie auch das Schadenpotenzial mindestens das Niveau «mittel» erreichen.
Gegenüber 2016 kann 2018 bei den Beobachtungsdimensionen Netzverfügbarkeit und Kraftwerkskapazität eine Reduktion des Risikos festgestellt werden, weil die Eintretenswahrscheinlichkeit eines mittleren Schadens geringer geworden ist. Die Inbetriebnahme von neuen Leitungen und Kuppeltransformatoren 380 → 220kV und der Kraftwerke Linth-Limmern sowie Nant de Drance sind für diese Entwicklung massgebend.
Bei anderen Indikatoren ist das Risiko aber grösser geworden, weil häufiger mit dem Eintreten eines Schadenereignisses gerechnet werden muss. So steigt die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls bei der Systemführung, weil die Einspeisung von Windkraft und Photovoltaik grössere Spannungsschwankungen verursachen kann. Zusammen mit dem fluss basierten Market-Coupling (Flow Based Market Coupling, FBMC) zwischen den Nachbarländern — unter Ausschluss der Schweiz — muss mit vermehrten ungeplanten Flüssen durch die Schweiz gerechnet werden. Das schränkt die grenzüberschreitende Importkapazität zur Versorgung der Schweiz ein.
Im Bereich Produktion steigt die Eintretenswahrschinlichkeit bei der Beobachtungsdimensionen Stromimport parallel zum Risiko bei der Systemführung ebenfalls an, weil bei Netzengpässen nicht immer dem Bedarf entsprechend importiert werden kann und die Exportfähigkeit der Nachbarstaaten nicht a priori gegeben ist. Die zukünftig verfügbare Kraftwerkskapazität verschlechtert sich aufgrund der beschlossenen Ausserbetriebnahme der Kernkraftkapazitäten. Diese werden kaum vollständig mit inländischer Produktion ersetzt werden, zumal die zweite Phase der Energiestrategie 2050 vom Parlament abgelehnt worden ist. Da gegenwärtig keine zusätzlichen Massnahmen geplant sind, wird die Stromversorgung der Schweiz zunehmend von Importen abhängig werden. «Je grösser der Importbedarf ist, umso stärker ist man abhängig vom Funktionieren der Grosshandeslamärkte und der Exportfähigkeit der Nachbarländer. Für eine zentrale Infrastruktur, welche in Echtzeit funktionieren muss, ist dies somit ein kritischer Risikofaktor.» heisst es dazu im Bericht der ElCom auf S. 31.
Im Bereich Umfeld verschlechtert sich die Situation der Schweiz, weil die bisherigen privatrechtlichen Abmachnungen zwischen den TSOs, mit denen der Verbundbetrieb geregelt wurde, zunehmend durch EU-Recht ersetzt wird. Die EU-Verordnungen schliessen Drittstaaten aus, sofern kein Abkommen besteht. Mit oder ohne Stromabkommen sinkt der Einfluss der Schweiz, weil sie nicht an der Rechtsetzung in der EU beteiligt ist.
Die ElCom sieht aufgrund ihrer Analyse der Stromversorgungssicherheit 2018 keinen unmittelbaren Grund, dem Bundesrat Massnahmen nach Artikel 9 StromVG vorzuschlagen, stellt aber wegen der fortschreitenden Ausklammerung der Schweiz aus dem Strombinnenmarkt der EU und der Stillegung von substanziellen in- und ausländischen Produktionskapazitäten ein steigendes Risiko fest.
«Mit Blick auf die Systemstabilität ist die politische Diskussion notwendig, wie die von diesen Kraftwerken im Winter produzierte Elektrizität im Inland substituiert werden soll. Die Notwendigkeit für Markteingriffe und Notmassnahmen liesse sich deutlich reduzieren, wenn ein substanzieller Teil der Winterproduktion der heutigen Kernkraftwerke weiterhin im Inland erzeugt wird.» heisst es dazu in der ebenfalls publizierten Studie zur Versorgungssicherheit der Schweiz im Jahr 2025 «Schlussbericht System Adequacy 2025». Dort empfiehlt die ElCom dem Bundesrat, sofort auslösbare vorbehaltene Massnahmen vorzubereiten, um v.a. in den Wintermonaten Versorgungsenergie kurzfristig bereitstellen zu können, sollte sich ein Krisenszenarium abzeichnen. Es wäre gem. ElCom «insbesondere zu klären, welche Institution die Umsetzung auslöst, wer die benötigte Menge wie definiert und wer sie auschreibt, bzw. beschafft und unter welchen Bedingungen diese Energie für die Versorgung zum Einsatz kommen kann.»
Von einer sicheren Stromversorgung spricht man, wenn die Einspeisung der Produktion ins Netz jederzeit genau so gross ist, wie die Ausspeisung für die Kunden. Gemäss Energiegesetz ist die Energiewirtschaft dafür zuständig und Bund und Kantone haben für geeignete Rahmenbedingungen zu sorgen. Beim Strom befindet sich der aller grösste Anteil der Unternehmen in öffentlicher Hand. Es darf erwartet werden, dass diese ihren Versorgungsauftrag vorausschauend und gewissenhaft wahrnimmt.
Als Teil der vom Volk angenommenen Energiewende werden die Produktionskapazitäten der Schweizer Kernkraftwerke sukzessive vom Netz gehen. Es wird möglich sein, die wegfallende Produktion aus Kernkraftwerken zumindest teilweise mit erneuerbaren Energien zu ersetzen und den Verbrauch dank Effizienzmassnahmen hoffentlich nicht weiter ansteigen zu lassen. Trotzdem zeichnet sich ab, dass das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch weiter auseinander driften wird. Bislang war diese Bilanz über das Jahr gesehen ausgeglichen. Im Sommer gibt es einen Überschuss aus der Wasserkraft, der exportiert wird, im Winter muss aber etwa gleich viel wieder importiert werden, weil dann die inländische Produktion den Bedarf nicht decken kann. Dieses «Winterloch» wird grösser, wenn die wegfallende Produktion aus Kernenergie nicht ersetzt bzw. eingespart werden kann. Zukünftig wird der Exportüberschuss auch abhängig von der Verbreitung der Photovoltaik sein, die wie die Wasserkraft v.a. im Sommer ergiebig ist.
Nicht nur in der Schweiz sondern auch in den Nachbarländern werden sukzessive die Produktionskapazitäten geändert. Der Wandel ist von der Notwendigkeit getrieben, Klimagasemissionen zu reduzieren und in Deutschland und der Schweiz auch vom Entscheid, zukünftig auf Kernenergie zu verzichten. Relativ träge Grundlastkraftwerke, die bei hoher Auslastung langfristig recht gut planbar den Grundbedarf abdecken, werden durch Produktionskapazitäten ersetzt, die unabhängig vom Bedarf aber abhängig von Wind und Sonne zeitweise mit sehr hohen Leistungen ins Netz einspeisen, dann wieder sehr wenig produzieren, wenn es an Licht und Wind mangelt. Wind und Sonne sind kurzfristig zwar auch prognostizierbar, trotzdem braucht es Back-up Systeme, die relativ schnell einspringen können, weil der Strombedarf nicht so rasch und auch nur teilweise an die fluktuierende Produktion angepasst werden kann. Die Schweiz hat mit der schnell modulierbaren Wasserkraft diesbezüglich einen Vorteil, weil immer genug Leistung für kurzfristige Anpassungen verfügbar ist. Der Energievorrat in den Speicherseen reicht aber nicht aus, um auf Dauer die wegfallende Produktion aus den Kernkraftwerken zu ersetzen.
Für Kunden und Versorger ist relevant, wie die Versorgung gewährleistet wird. Bis zur vollständigen Marktöffnung finden in der Grundversorgung Stromtarife Anwendung. Diese sind mit der Lieferpflicht des Versorgers verbunden und unterliegen der Kontrolle der Elektrizitätskommission (ElCom). Für Kunden, die ihren Lieferanten im freien Markt wählen können, gelten vertraglich ausgehandelte Strompreise und Lieferbedingungen. Wie und woher die Lieferanten bzw. Versorger die benötigte Energie beschaffen, braucht die Kunden nicht zu kümmern. Die Qualität des vom Markt bezogenen Stroms wird separat über Herkunftsnachweise geregelt und hat keinen Zusammenhang mit den physikalischen Stromflüssen. Für die Durchleitung des Stroms von den Kraftwerken zu den Verbrauchern bezahlen die Kunden den Netzbetreibern ein angemessenes Entgelt, ebenso für die Systemdienstleistungen, die für die Aufrechterhaltung der Netzstabilität notwendig sind. Allerdings – und hier gibt es Verbesserungsbedarf – muss ein Versorger nicht zwingend den ganzen Bedarf für seine Kunden rechtzeitig beschaffen. Er kann die gemäss seinem Fahrplan benötigte oder überschüssige Energie in die sog. Ausgleichsenergie laufen lassen, was bedeutet, dass der Übertragungsnetzbetreiber die vom Fahrplan abweichende Energie ausgleichen muss, um das Netz stabil zu halten. Die Höhe des Preises für die Ausgleichsenergie stellt für Versorger somit einen mehr oder weniger grossen Anreiz dar, möglichst exakte Bedarfsprognosen zu machen und diese dann auch in Echtzeit zu befolgen, bzw. kurzfristig am Spotmarkt Abweichungen zu korrigieren.
Sowohl die Stromproduktion, der Stromhandel, die Lieferung und die Durchleitung zu den Kunden liegen in der Hand der Stromwirtschaft. Sie verfügt damit über alle Hebel, um die gesetzeskonforme Sicherheit der Versorgung zu gewährleisten. Sie kann auch Kunden für Belange der Versorgungssicherheit mit einbeziehen, indem sie beispielsweise geeignete Produkte anbietet, um besser mit den fluktuierenden Einspeisungen und volatilen Marktpreisen umgehen zu können. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen innovative Angebote bzw. Businessmodelle, die bis vor kurzem technisch nicht umsetzbar waren – beispielsweise die Optimierung von dezentraler Stromproduktion auf den unteren Spannungsebenen verbunden mit Eigenverbrauch und Speicherung.
Diese Modelle bedingen, dass Kunden den Stromlieferanten mit dem passenden Angebot wählen können, wofür ein vollständig geöffneter Strommarkt sicher besser geeignet ist als die gegenwärtige Teilmarktöffnung. Die Schweiz hadert seit Jahren mit der Öffnung des Strommarktes und droht auf halbem Weg stecken zu bleiben, weil Haushalte und KMU nicht aus dem Versorgungsmonopol entlassen werden, sondern als «Versicherung» herhalten müssen, die den Versorgern in ihrem angestammten Geschäft kostendeckende Tarife und einen angemessenen Gewinn garantiert. Dies erschwert und verzögert die Anpassung an die Herausforderungen des Strukturwandels in der Stromversorgung und hemmt die Entwicklung von innovativen Businessmodellen, die für die Integration der neuen erneuerbaren Energien in die Stromversorgung notwendig sind.
Ein vollständig geöffneter Strommarkt ist zudem eine Bedingung der EU für die direkte Kopplung der Schweiz an den internationalen Strommarkt, was wiederum die Sicherheit der Versorgung in der Schweiz heben und dazu dank verbesserter Allokation der Kapazitäten bei Netzengpässen auch noch günstiger machen würde.
Aus dem Gesagten wird klar, dass eine zunehmend volatile Produktion bedingt, dass sich der Verbrauch vermehrt nach dem Angebot richten muss. Das heisst aber, dass v.a. auch kurzfristige Preisschwankungen, die Überfluss oder Knappheit signalisieren, bei den Endkunden ankommen müssen. Es ist den Kunden dann immer noch unbenommen, Stromprodukte zu abonnieren, die gegen entsprechenden Preis frei sind von Mengen- und Preisschwankungsrisiken. Aus Sicht der Kunden ist Versorgungssicherheit deshalb primär eine Frage der Vertragsvereinbarung mit den Lieferanten. Diese müssen dafür sorgen, dass sie ihre Kunden vertragskonform beliefern können und die Netzbetreiber müssen sicherstellen, dass das Netz stabil bleibt, indem sie die erforderlichen Leistungsreserven kontrahieren. Diese können auch darin bestehen, dass Verbraucher bzw. bestimmte Anwendungen ihren Verbrauch nach festgelegten Regeln reduzieren.
Braucht es darüber hinaus weitere Absicherungen, beispielsweise in Form einer «strategischen Reserve» falls am Markt Angebot und Nachfrage nicht schliessen? Die Stromwirtschaft hat es bislang immer fertig gebracht, im Spannungsfeld attraktiver Preise am internationalen Spotmarkt und dem Versorgungsauftrag im Inland ihre Aufgabe zu erfüllen. Ein Marktversagen ist nicht feststellbar. Der Gewinn einer solchen Massnahme käme nur dann zum Tragen, wenn aus technischen Gründen und witterungsbedingt die vertraglich gesicherten Lieferketten brechen. In einer solchen Situation könnte man mit einer strategischen Reserve, die über das hinausgeht, was die Branche zur Bewältigung der Stromknappheit im Winter ohnehin macht, etwas Zeit gewinnen. Gleichwohl wird man für derartige Knappheitssituationen kaum genug Reserven vorhalten können bzw. wollen, weshalb in solchen Situationen andere Massnahmen wie Lastabwurf und Kontingentierung umgesetzt werden müssen.
Von der Wirtschaft wird erwartet, dass sie auch bei eingeschränkter Stromversorgung eine einigermassen akzeptable Versorgung der Bevölkerung aufrecht erhält. Die Organisation für die Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen (OSTRAL) ist vom zuständigen Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL beauftragt, die Stromversorgung bei Mangellagen den Umständen entsprechend soweit wie möglich aufrecht zu erhalten.
Aus Sicht des BWL besteht eine einfache Lösung darin, den Endverbrauchern den Bezug in dem Umfang zu kürzen, wie weniger Strom zur Verfügung steht (Kontingentierung) und falls das nicht reicht, einzelne Versorgungsgebiete zyklisch abzuschalten.
Aus Sicht der Verbraucher sollte die Kontingentierung differenziert erfolgen, je nach dem, wie wichtig die Produktion und die Verfügbarkeit entsprechender Güter und Dienstleistungen ist. Beispielsweise erfordert auch eine reduzierte Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs eine durchgehende Logistik- und Abrechnungskette, die heutzutage ohne funktionierende Informations- und Kommunikationstechnologie nicht mehr möglich ist.
Es ist deshalb unerlässlich, festzulegen, welche Funktionen gewährleistet werden müssen und wie die entsprechenden Sektoren auch bei Strommangellagen ihre Aufgaben noch auf einem akzeptablen Niveau erfüllen können.
Die GGS hat mit ihren Mitgliedern die Anforderungen an ein Kontingentierungskonzept formuliert:
Strommangellage – Anforderung an ein Konzept für Verbrauchsreduktionen
Ist die Stromversorgung gefährdet?
Positionspapier der GGS zu Versorgungssicherheit
Die Stromversorgung in Europa und der Schweiz befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die fortschreitende Marktintegration in der EU mit den entsprechenden grenzüberschreitenden Verbindungen sowie die Förderung und der Ausbau von Photovoltaik und Windenergie ändern die technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Stromproduzenten grundlegend.
Das zeitweise überbordende Angebot aus intermittierenden Quellen macht es anspruchsvoller, das Stromnetz stabil zu halten. Gleichzeitig drückt es auf die Marktpreise, so dass die Rentabilität der konventionellen Kraftwerke sinkt. Diese sind zwar für die Versorgung weiterhin unabdingbar, nur sind dafür nötigen Investitionen mittlerweile mit grossen Rentabilitätsrisiken verbunden und erfolgen entsprechend zurückhaltend.
In Europa beobachtet man bereits zyklische Schwingungen, wie sie auch an anderen Märkten auftreten, beispielsweise bei Investitionsgütern oder Immobilien. Die rasch steigenden Strompreise nach dem ersten Marktöffnungsschub hatten zu einem Ausbau der Produktionskapazitäten geführt. Ausgelöst durch die Finanzkrise hat sich die Nachfrage aber nicht wie erwartet entwickelt. Zudem kommen laufend neue subventionierte Produktionskapazitäten ans Netz, die ihre Einspeisung nicht an der Nachfrage richten müssen. Bei Angebotsüberhang werden unrentable Anlagen geschlossen und es wird wenig investiert. Steigen die Preise wieder, aufgrund des knapperen Angebots bzw. steigender Nachfrage, werden Kapazitäten zugebaut, was bei Kraftwerken eine gewisse Zeit braucht. Die ersten am Markt profitieren am meisten, bei zunehmendem Angebot sinken die Preise wieder.
Was bedeutet Versorgungssicherheit?
Gerade beim Strom, der mittlerweile für fast alle Bereiche des modernen Lebens unerlässlich ist, wäre es sowohl für Produzenten wie Verbraucher wünschenswert, eine gewisse Investitions- bzw. Preissicherheit zu haben. Es macht wenig Sinn, sich deshalb die Zeiten der Monopolversorgung zurück zu wünschen. Eine Energiewende ohne Markt würde wahrscheinlich noch viel schlimmer in ineffiziente Planwirtschaft umschlagen, als dies ohnehin bereits der Fall ist. Trotzdem oder gerade wegen der Energiewende und der damit angestrebten Reduktion der CO2-Emissionen und dem beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie ist es notwendig, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass auch in Zukunft ausreichend Energie und Leistung für die Deckung der Nachfrage und zur Stabilisierung des Stromnetzes zur Verfügung gestellt wird. ENTSO-E (http://vision.entsoe.eu/ ) unterscheidet security of supply (Versorgungssicherheit) und system adequacy (angemessene Systeme). Angemessenheit wird definiert als die Fähigkeit, in einem Gebiet so viel Strom einspeisen zu können, wie verbraucht wird. Die Definition ist eigentlich trivial, denn wenn bei der Stromversorgung Produktion und Verbrauch nicht dauernd aufeinander abgestimmt werden, versagt das System. Weniger trivial und je nach Produktions- und Verbrauchsstruktur sowie Netztopologie verschieden ist die Antwort auf die Frage, was es für ein angemessenes Stromversorgungssystem alles braucht. Während ENTSO-E die Versorgungssicherheit primär mit länderübergreifenden Marktmechanismen gewährleisten will und darin die volkswirtschaftlich effizienteste Lösung sieht, kann man bei einzelnen Mitgliedländern vermehrt rein national ausgerichtete Massnahmen ausmachen, mit der die «Energy Union» eher behindert als gefördert wird. Zurzeit wird Versorgungssicherheit national geregelt. Versteht man darunter die Fähigkeit, die Stromnachfrage in jeder einzelnen Stunde im Jahr durch landeseigene Kraftwerke decken zu können, käme die Schweiz nicht darum herum, neue Kraftwerke zu bauen, sobald die alten Kernkraftwerke vom Netz gehen. Da private Investoren fehlen, müsste wohl der Staat selber in die Bresche springen. Gemäss ENTSO-E sind drei Elemente Voraussetzung für eine sichere Stromversorgung:
- die Höhe der Spitzenlast bzw. die verfügbare Kraftwerkleistung und die steuerbaren Lasten
- die Geschwindigkeit, mit der Leistung verfügbar bzw. Verbrauch reduzierbar sind
- die Dauer, die beim Ausfall von gewichtigen Produktions- bzw. Importkapazitäten überbrückt werden kann
Leistung steht genug zur Verfügung – wie steht es mit der Energie?
Die ersten beiden Punkte von ENTSO-E betreffen Flexibilität bzw. die verfügbare Leistung, die für die Steuerung der Netzstabilität relevant ist. Die Schweiz verfügt über einen sehr hohen Anteil an schnell abrufbarer Wasserkraft aus Speicherseen. Die installierte Kraftwerkleistung liegt bei ca. 17‘000MW (Wasserkraft 14‘000MW, Kernkraft 3‘000MW, 650MW konventionell-thermischen). Von dieser Kapazität sind etwa 12‘000-13‘000MW verfügbar (Elektrizitätsstatistik Tabelle 18). Dazu kommt eine Importkapazität von rund 6‘000MW. Die selten auftretende Jahreshöchstlast aller Verbraucher liegt bei rund 10‘000 MW. Netzstabilität ist aus dieser Sicht unproblematisch, auch wenn bezüglich Laststeuerung bei den Verbrauchern ein beachtliches Potential noch nicht genutzt wird. Dieses liegt gemäss einer für das BFE durchgeführten Studie bei mehreren 100 MW. (https://www.aramis.admin.ch/Default.aspx?DocumentID=34766&Load=true ) Der dritte Punkt von ENTSO-E betrifft die verfügbare Energie. Wenn Kernenergie und Importe wegfallen, bleibt praktisch nur noch das Wasser in den Stauseen und Flüssen für die Stromproduktion. In vollen Stauseen lagert Ende Sommer ein Äquivalent von ca. 7‘700 GWh Energie (entspricht 87% des Speichervermögens). Allerdings sind davon die letzten 800 GWh aus technischen Gründen nicht nutzbar (Geschiebe am Grund der Stauseen). Eine Analyse der monatlichen Elektrizitätsbilanz von 2007-2016 zeigt, dass die Stromwirtschaft ihre Aufgabe einer sicheren und wirtschaftlichen Stromversorgung verantwortungsbewusst erfüllt. In den knappen Wintermonaten wäre jederzeit noch genügend Reserve in den Stauseen vorhanden, um den Inlandbedarf auch ohne Importe über mehrere Wochen decken zu können. Allerdings darf man dann auch nicht exportieren und die Produktionskapazität der Kernkraftwerke muss verfügbar sein.
Grafik Speicherseebilanz mit und ohne Import/Export
Es sind also Szenarien denkbar, bei denen die verfügbare Energie nicht mehr ausreichen würde. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt solcher Szenarien ist heute zwar gering, steigt aber in dem Mass, wie die Stromproduktion aus Kernkraftwerken wegfällt und gleichzeitig Importe nicht dauernd verfügbar sind. Wenn in einem kalten Winter fehlende Importe, geringe Wasserführung in den Flüssen und leere Stauseen mit fehlender Produktion aus Kernkraftwerken zusammenfallen, steht relativ bald nicht mehr genug Strom für die Versorgung zur Verfügung.
Glücklicherweise hat sich ein solches Szenarium bislang nicht bewahrheitet. Auch während längeren Ausfällen des Kernkraftwerks Leibstadt im Winter konnte ausreichend Strom importiert werden. Ob das in Zukunft weiterhin so sein wird, ist ungewiss. Das ist mit ein Grund für Bestrebungen, mit einem neuen «Marktdesign» Stromproduzenten zu stützen, die beklagen, dass die Schweizer Wasserkraft nicht mehr rentabel aber für die Versorgung «systemrelevant» sei.
Sind Wasserkraftwerke nicht mehr rentabel?
Wie im Beitrag Energiestrategie 2050 und Versorgungssicherheit gezeigt, liegt das Zubaupotenzial bei der Wasserkraft gem. BFE bei rund 2 TWh (inkl. neue Stauseen im Gletschervorland). Es gibt mehrere Gründe, weshalb es schwierig wird, diese Erwartung zu erfüllen. Der wichtigste Grund dürfte bei der zweifelhaften Rentabilitätserwartung liegen. Investitionen lohnen sich nur dann, wenn sie innerhalb der Restlaufzeit der Konzession amortisiert werden können. In den kommenden Jahren sind aber viele Konzessionen vom Heimfall betroffen. Die Bedingungen für eine allfällige Konzessionserneuerung müssen deshalb geklärt sein, bevor investiert wird. Ein zweiter wesentlicher Kostenfaktor ist der Wasserzins selbst. Bei tiefen Marktpreisen macht dieser einen wesentlichen Teil der Gestehungskosten aus, so dass keine Reserven für Erweiterungs- und Neubauten gebildet werden können. Auch die schärferen Auflagen bezüglich Restwasser mindern den Ertrag und Einsprachen können ausführungsreife Projekte während Jahren blockieren. Marktseitig ist die Strompreisentwicklung mit grosser Unsicherheit behaftet. Zwar will man in Deutschland und Frankreich konventionelle Erzeugungskapazitäten (Kohle & Kernkraft) zurückfahren, gleichzeitig werden aber Windkraft und Photovoltaik erheblich subventioniert und Backup Kapazitäten eingerichtet. Wie es trotz diesen Umständen der Schweizer Speicherwasserkraft möglich ist, den Vorteil der schnellen Regulierbarkeit ihrer Kraftwerke ertragreich umzusetzen, zeigt ein konkretes Beispiel aus dem Dezember 2020. Bei hohen Spotmarktpreisen wird die Produktion aus Wasserkraft in der Schweiz erhöht und exportiert, wie die Grafiken unter folgendem Link zeigen.
Schweizer Wasserkraft profitiert vom grenzüberschreitenden Stromaustausch
Speicher- und Pumpspeicher werden klar nach ökonomischen Kriterien am Spotmarkt optimiert: wenig Windeinspeisung treibt den Spotmarkt in die Höhe – das nutzt die Schweizer Wasserkraft indem sie Reserven aus Speicherseen exportiert.
Braucht Versorgungssicherheit neue Regulierungen?
ENTSO-E meint, dass Versorgungssicherheit durch Nutzung der Marktkräfte volkswirtschaftlich am effizientesten sei. Dazu müssen bestehende Marktverzerrung abgebaut und nicht neue aufgebaut werden. Das spricht gegen neue «Versicherungsabgaben» für notleidende Kraftwerke zu Lasten der Endverbraucher und für:
- Grosse grenzüberschreitend zusammenhängende Marktgebiete die gegen Ausfälle einzelner Kraftwerke und schwache Produktion intermittenter Kapazitäten besser gewappnet sind als kleine abgeschottete Länder – vorausgesetzt die Netzinfrastruktur lässt einen überregionalen Austausch zu.
- Technologien für erneuerbare Energien die an die lokalen Gegebenheiten der Region angepasst sind, weil sie an den betreffenden Standorten am besten eigen.
- Preissignale für Strom, die den effektiven Wert der Elektrizität zum entsprechenden Zeitpunkt reflektieren.
- Die vermehrte und bessere Nutzung von Flexibilität bei den Endverbrauchern.
- Preise für Ausgleichenergie, die die effektiven Kosten für Unausgeglichenheit der Bilanzgruppen reflektieren und damit die Fahrplantreue verbessern – auch für Bilanzgruppen mit stochastisch einspeisenden erneuerbaren Energien.
….und es spricht gegen immer mehr Kosten und Abgaben, die auf den Monopolteil des Strompreis geladen werden weil diese die Preissignale verwässern, die vom Energiemarkt zu den Endverbrauchern kommen.
Deshalb ist man bei ENTSO-E skeptisch bezüglich Kapazitätsmechanismen, weil ein funktionierender Markt die richtigen Produkte bereitstellt und Preissignale generiert, die auf Angebot und Nachfrage wirken.
Braucht es Kapazitätsmärkte für die Versorgungssicherheit?
Entgegen den Bestrebungen von ENTSO-E für die sog. «Energy Union» haben einige Länder bereits Kapazitätsmärkte eingeführt oder sind daran, dies zu tun.
Beim sog. Kapazitätsmarkt wird die Vorhaltung von Produktions- bzw. Abschaltkapazität abgegolten und bei der sog. strategischen Reserve wird eine bestimmte Energiemenge als Vorrat gehalten. Beides sind Mechanismen, die eigentlich nicht notwendig sein sollten, wenn die verschiedenen Märkte und Marktprodukte unverzerrte Preissignale aussenden. National ausgerichtete Kapazitätsmechanismen schaffen wegen der damit verbundenen Marktabschottung neue Marktverzerrungen. Zudem ist zweifelhaft, ob diese Mechanismen überhaupt geeignet sind, genügend Anreiz für Investitionen in neue Kraftwerke zu setzen, mit denen z.B. in der Schweiz der fehlende Winterstrom produziert werden könnte. Bislang gibt auch die Energiestrategie darauf keine plausible Antwort und es macht aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wenig Sinn, jederzeit 100 Prozent des Bedarfs durch inländische Produktion decken zu wollen. Dies ist für die Schweiz bekanntlich schon seit längerem gar nicht mehr möglich.
Wer ist eigentlich für die Versorgungssicherheit verantwortlich?
Gemeinhin gilt die Stromversorgung der Schweiz als sehr zuverlässig und für hiesige Verhältnisse einigermassen erschwinglich. Stromausfälle sind selten und in der Regel schnell behoben. Dennoch werden vermehrt Stimmen laut, die eine zunehmende Unsicherheit bei der Stromversorgung annehmen und Massnahmen suchen, mit denen speziell die im internationalen Wettbewerb unter Druck geratene Schweizer Wasserkraft mit einem neuen «Marktdesign» gestützt werden soll.
Gemäss Art. 89 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Energiepolitik setzen sich Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung ein. Der Bund beansprucht die Kompetenz, bei Kernenergie sowie für den Transport und die Lieferung von Strom Spezialgesetze zu erlassen.
In Art. 1 Abs. 3 – 5 EnG werden Planvorgaben bezüglich erneuerbaren Energien und Verbrauch gemacht. Art. 4 Abs. 2 EnG legt die Energieversorgung in die Verantwortung der Energiewirtschaft, wobei Bund und Kantone für Rahmenbedingungen zu sorgen haben, dass die Energiewirtschaft diese Aufgabe im Gesamtinteresse optimal erfüllen kann.
In Art. 8 StromVG werden die Aufgaben der Netzbetreiber bezeichnet, damit die Versorgung mit elektrischer Energie über das dafür erforderliche Netz sichergestellt werden kann. Art. 9 Abs. 1 lit. b StromVG gibt dem Bundesrat die Kompetenz, bei erheblicher Gefährdung der Versorgung Bezugsverträge abzuschliessen und Erzeugungskapazitäten auszubauen.
Die Liste liesse sich noch stark erweitern, mit den Satzungen des Übertragungsnetzbetreibers Swissgrid, der Aufsichtsbehörde ElCom und der zahlreichen kleinen und grossen Kraft- und Elektrizitätswerke. Letztere sind Teil der Energiewirtschaft und befinden sich bekanntlich überwiegend in öffentlicher Hand.
Die Verantwortung für eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Stromversorgung liegt also nicht bei einer zentralen Organisation sondern ist auf zahlreiche Körperschaften verteilt, die alle in ihrem Aufgabenbereich versuchen, Gesamtinteresse und Eigeninteresse in Übereinstimmung zu bringen. Die hervorragende internationale Anbindung wird von den Überlandwerken für Geschäfte mit ausländischen Märkten genutzt. Die reichlich vorhandenen Leistungsreserven können gewinnbringend am Regelenergiemarkt eingesetzt werden. Verteilnetzbetreiber und Gemeindewerke verfügen nach wie vor über einen sicheren Absatzkanal in der Grundversorgung. Bislang hat die Energiewirtschaft ihre Aufgabe einer sicheren und wirtschaftlichen Stromversorgung verantwortungsbewusst erfüllt. Man fragt sich, weshalb nun die Versorgungssicherheit gefährdet und deshalb ein neues «Marktdesign» nötig sei.
Unter Versorgungssicherheit versteht der Gesetzgeber die Pflicht von Bund und Kantonen, bei sich abzeichnender Knappheit rechtzeitig die Voraussetzungen für neue Produktionskapazitäten zu schaffen (Art. 6a EnG). Die Energieversorgung selbst ist die Aufgabe der Stromwirtschaft (Art. 4 Abs. 2 EnG). Für Endverbraucher – insbesondere die Industrie – bedeutet Versorgungssicherheit, dass jederzeit die benötigte Energie zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung steht.
Versorgungssicherheit hat eine energiepolitische, eine technische und eine kommerzielle Dimension. Energiepolitisch geht es um die Frage, wie der Bedarf der Endverbraucher gedeckt werden soll. Muss im Inland jederzeit genügend Strom produziert werden, wie verbraucht wird? Ist die Versorgung sicherer oder weniger sicher, wenn zeitweise Strom importiert werden muss? Wie stark dürfen die Stromnetze belastet werden und wie viele Anschlüsse braucht es, damit sicher immer Strom da ist? Schliesslich stellt sich die Frage nach dem Preis. Wie teuer kann der Strom sein, um noch als erschwinglich zu gelten?
Aus energiepolitischer Sicht steht die Schweiz mit der Energiestrategie 2050 vor grossen Herausforderungen. Das Szenarium des Bundes basiert auf der Annahme, dass der Stromverbrauch auf dem heutigen Niveau stabilisiert werden kann. Das würde bedeuten, dass sich die Entwicklung des Bruttoinlandproduktes (BIP) von der Entwicklung des Stromverbrauchs entkoppelt. Es impliziert auch, dass im demokratischen Prozess die erforderlichen Anpassungen bei den Rechtsgrundlagen Mehrheiten finden. Versorgungssicherheit heisst aber auch, in ein internationales Netz eingebunden sein, so dass beim Ausfall eines Kraftwerkes Produktionsengpässe überbrückt werden können.
Aus technischer Sicht sind die Netzbetreiber gemäss Art. 8 & 9 StromVG und Art. 5 StromVV angehalten, Massnahmen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit zu treffen, insbesondere, was den Ausbau der Netze und Abgleich zwischen Produktion und Verbrauch betrifft. Der im Rahmen der Energiestrategie 2050 nötige starke Zubau erneuerbarer Produktion erfordert eine Verstärkung der Netze, damit die überschüssige Energie aus Photovoltaik und Wind zu den ebenfalls noch zu bauenden Speichern geleitet werden kann.
Kommerziell bedeutet Versorgungssicherheit, dass der Strom zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung steht. Eine im Zusammenhang mit dem Markteintritt immer wieder geschürte Angst betrifft den Lieferantenausfall. Wenn ein Lieferpartner seine Lieferung nicht mehr erbringt, darf der Netzbetreiber dem Endverbraucher nicht einfach den Strom abstellen. Zwar entfällt die Lieferpflicht gemäss Art. 6 StromVG wenn vom Recht auf Marktzugang Gebrauch gemacht wird, nicht aber die Anschlusspflicht gemäss Art. 5 StromVG. D.h. der Anschluss darf nicht unterbrochen werden. Ein Endverbraucher im freien Markt ohne bzw. mit unerfülltem Liefervertrag bezieht seine Energie weiterhin unterbruchsfrei über das lokale Verteilnetz. Allerdings fehlt für diesen Sachverhalt in den Rechtsgrundlagen bislang eine explizite Regelung.
De facto ist der Bedarf des Endverbrauchers mit Lieferantenausfall nicht im Fahrplan der Bilanzgruppe des Verteilnetzbetreibers vorgesehen. Entsprechend wirkt sich der Konsum des betreffenden Endverbrauchers auf den Bedarf an Ausgleichsenergie des Verteilnetzbetreibers aus. Je nach Fahrplanabweichung im Netzgebiet kann dieser Bedarf vergrössert oder verkleinert werden. In der Regel wird es aber beim Verteilnetzbetreiber zusätzliche Aufwendungen auslösen, die dem verursachenden Endverbraucher angelastet werden.
Es ist deshalb ratsam, im Netznutzungsvertrag eine Klausel einzufügen, mit der bei Lieferantenausfall automatisch die Ersatzlieferung durch den Verteilnetzbetreiber zu festgelegten Konditionen greift.
Vernünftige Lösungen beinhalten die Abgeltung der Aufwendungen des Verteilnetzbetreibers für die Ersatzbeschaffung und ein angemessenes Entgelt für die Lieferung. Die Kosten sollten sich an denjenigen für Ausgleichsenergie orientieren.
Fazit:
Stromausfälle passieren wegen Netzausfällen. Ohne Netz kann kein Strom geliefert werden, auch wenn der Lieferant einspeisen möchte. Physische Lieferunterbrüche sind nur möglich, wenn entweder das Netz aus übergeordneten technischen Gründen ausfällt und keine Notstromgruppe vorhanden ist, oder wenn nach erfolgter Mahnung Rechnungen nicht bezahlt werden und der Netzbetreiber den Netzanschluss unterbricht.
Die Einbindung der Schweiz in das europäische Stromnetz ermöglicht einen grenzüberschreitenden Stromaustausch, der wesentlich zur Versorgungssicherheit beiträgt. Der Ausfall grosser Produktionskapazitäten kann kurzfristig durch Importe überbrückt werden; z.B. führte ein mehrmonatiger Generatorausfall in Leibstadt 2005 nicht zu einem Versorgungsengpass sondern lediglich zu einem für Sommermonate aussergewöhnlichen Importsaldo von 1.6 TWh.
Bereits heute importiert die Schweiz im Winterhalbjahr 2 – 7 TWh, weil nicht ausreichend Eigenproduktion zur Verfügung steht. Dank der guten Anbindung kann zu Niederlastzeiten für den Betrieb der Pumpspeicher günstiger Bandstrom aus Europa importiert und während Spitzenlastzeiten als wertvolle Spitzenenergie wieder verkauft werden.
Aus strategischer Sicht sollte sich die Schweiz bei ihrer Stromversorgung nicht einfach auf ausländische Produktionskapazitäten verlassen. Es ist einfacher, ein Netz stabil zu halten, wenn die Kraftwerke nahe bei den Verbrauchsstätten sind. Dieser Grundsatz wird in Zukunft noch wichtiger, in dem Mass, wie grosse Produktionskapazitäten von erneuerbaren Energien das Netz belasten. Angemessene Anpassungen der Netzinfrastruktur − inklusive Laststeuerung und lokale Speicherung – sind unvermeidlich, um Netzinstabilitäten in Grenzen zu halten.
Der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (European Network of Transmission System Operators for Electricity – ENTSO-E) beurteilt in einem jährlich publizierten Bericht die Entwicklung der Versorgungssicherheit auf europäischer Ebene.
entsoe Mid-term Adequacy Forecast
ENTSO-E rechnet im Bericht von 2015 mit einem jährlichen Verbrauchswachstum von 0.8% bis 2025. Die durchschnittliche Netzlast wird im gleichen Zeitraum stärker als der Verbrauch zunehmen, nämlich um rund 1% jährlich. Als Ursache werden eine stärkere Konjunktur sowie die fortschreitende Elektrifizierung von Gebäudeheizungen (Wärmepumpen) und Verkehr angenommen. Kein Verbrauchswachstum wird in Deutschland und England erwartet. Länder im Süden und im Osten nehmen einen überdurchschnittlichen Verbrauchszuwachs an.
Als Referenz für die Beurteilung der Versorgungssituation im Entso-E Gebiet wird die Spitzenlast verwendet, die jeweils am dritten Mittwoch im Januar in der Stunde nach 7 Uhr abends auftritt. Je nach Szenarium wird im Zeitraum bis 2025 mit einer Produktionserweiterung von netto 40 – 147 GW gerechnet. Der Zuwachs der Produktionskapazitäten (Net Generating Capacity – NGC) findet v.a. bei «Renewable Energy Sources» – RES statt (+105 bis 185 GW), vorab bei Wind- und Solarkraftwerken, sowie teilweise bei Wasserkraftwerken. Die Stromerzeugungskapazität von fossilen Kraftwerken soll demgegenüber abnehmen (-35 bis -55 GW), dabei sollen Gaskraftwerke zunehmend Kohlekraftwerke ersetzen. Ebenso soll die Kapazität von Kernkraftwerken fallen (-17 bis -18 GW).
Im Bericht wird betont, dass die verfügbare Leistung aus RES-Kraftwerken, die für die Lastdeckung zur Verfügung steht, sehr viel geringer als bei konventionellen Kraftwerken ist.
Die Angemessenheit der Versorgungskapazität wird von ENTSO-E mit den Parametern «zuverlässig verfügbare Kapazität» (Reliable Available Capacity – RAC), «verbleibende Kapazität» (Remaining Capacity – RC) und «Adäquatheits Referenz Spanne» (Adequacy Reference Margin – ARM) beurteilt. Die Differenz zwischen RAC minus RC ist die Leistung, die für die Deckung der momentanen Last gebraucht wird. ARM ist der Anteil an RAC, der als Reserve vorhanden sein muss, um saisonal unterschiedlichen Bedarf und Kraftwerksausfälle kompensieren zu können. Die ganzen RES-Kapazitäten werden von ENTSO-E als «nicht brauchbare Kapazität» (Non Usable Capacity) bezeichnet und zur «nicht verfügbaren Kapazität» gezählt. Diese soll im Beobachtungszeitraum von 419 auf 556 GW (+ 33%) wachsen, während die RAC von 602 auf 611 GW (+1.5%) zunimmt.
Solange die Adequacy Reference Margin – ARM kleiner als die Remaining Capacity – RC ist, kann jederzeit ausreichend Strom für die Befriedigung der Nachfrage produziert werden. In beiden Szenarien im Bericht von ENTSO-E wird die Differenz zwischen RC – ARM kleiner. Im konservativen Szenarium A übersteigt ARM bis 2025 RC, was nichts anderes heisst, als das die zuverlässig verfügbare Kapazität für die adäquat sichere Versorgung nicht mehr ausreichen wird. Beim «Best Estimate» Szenarium B bleibt ARM immer kleiner als RC, weil der Zuwachs bei den Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, grösser ist, als im Szenarium A.
Kommentar:
Die zunehmende Verbreitung von Windkraft und Photovoltaik wird methodische Anpassungen bei der Vorhersage der verfügbaren Produktionskapazität erforderlich machen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die gesamte «Non Usable Capacity» tatsächlich gleichzeitig europaweit nicht zur Verfügung steht. Deshalb sollte bei dieser «nicht brauchbaren Kapazität» die Verfügbarkeit mit probabilistischen Methoden aufgrund von Wetterdaten abgeschätzt werden. Allerdings ist damit die Frage des Transportes zu den Verbrauchern bzw. des dafür erforderlichen Netzausbaus noch nicht gelöst.
Zur Unsicherheit betreffend nutzbarer Kapazität gesellt sich auch die Problematik der Back-up Kapazitäten. Diese müssen vorgehalten werden, um zunehmend grosse Lastschwankungen auszugleichen. Sie müssen in der Lage sein, rasch steilen Auf- und Abfahrrampen zu folgen, die aufgrund der mittlerweile beachtlich grossen installierten Leistungen bei fluktuierender Einspeisung entstehen. Für Deutschland wird 2020 im Extremfall erwartet, dass innerhalb einer Stunde 11.9 GW Leistung zu- bzw. 10.9 GW abgeschaltet werden können (Leistung des Kernkraftwerks Gösgen: 1GW). Diese Aufgabe einfach den konventionellen Kraftwerken zu zuschieben, ist nicht richtig. Fluktuierend einspeisende Kraftwerke, die ihre Produktion nicht nach dem Bedarf richten, sollten verpflichtet werden, Beiträge an die Netzstabilität zu leisten, indem sie Massnahmen zur Glättung ihrer Produktionsprofile umsetzen und diese besser an den Bedarf angleichen.
Für die Schweiz hat ENTSO-E bis 2025 keine Versorgungsprobleme identifiziert, da immer genügend Leistung (MW) zur Verfügung stehe. Auch die grenzüberschreitende Transportkapazität sei beachtlich. Immerhin wird auf ein mögliches Defizit bei der Produktionsmenge (MWh) hingewiesen. Der Hinweis ist umso bedeutender, als dass für Deutschland bis 2025 mit einem Leistungs- und Produktionsdefizit in den Wintermonaten gerechnet wird. Dasselbe gilt für Frankreich und Italien sowie weitere Staaten in Mitteleuropa. Dies stellt die bisherige Importstrategie der Schweiz zur Sicherstellung der Versorgung im Winter in Frage.