Naturgemäss schwanken Langfristprognosen über den Energiebedarf. Wichtige Einflussfaktoren sind die Struktur und Entwicklung der Wirtschaft und der Bevölkerung. Witterung, Einführung und Verbreitung neuer Anwendungen sowie  Effizienzverbesserungen haben ebenfalls einen Einfluss.

Je länger der Prognosehorizont, desto grösser wird die Ungewissheit, da alle wichtigen Einflussfaktoren selbst mit grosser Unsicherheit verbunden sind.

Man kann feststellen, dass das Wachstum des Stromverbrauchs über längere Zeit recht gut linear mit dem Wachstum des Brutto Inland Produkts (BIP) korreliert hat. Für verschiedene Volkswirtschaften ergeben sich unterschiedliche Korrelationsfaktoren. In der Schweiz betrug dieser von 1980 lange Zeit ca. 1.2 % Stromverbrauchswachstum für jedes Prozent Wachstum des BIP. Seit etwa 2005 zeichnet sich eine deutliche Abflachung ab. Wir sehen seither ein weiter wachsendes BIP ohne weitere Zunahme des Stromverbrauchs. Das tiefe Bestimmheitsmass R2 deutet darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Stromverbrauch und BIP-Wachstum seit 2005 nicht mehr gilt. Gut sichtbar sind die Finanzkrise 2008 und die Covid-Pandemie 2020, als sowohl der Stromverbrauch wie das BIP rückläufig waren.

Die Korrelation zwischen Wachstum des BIP und Stromverbrauch verläuft seit 2005 ± horizontal

Eine flache Steigung im Verhältnis von Stromverbrauchswachstum zu BIP-Wachstum ist charakteristisch für hoch entwickelte Volkswirtschaften, die den grössten Teil der Wertschöpfung im tertiären Sektor erzielen. Der Wandel dieses Verhältnisses ist deshalb auch ein Indikator für den Strukturwandel in der Wirtschaft und bedeutet, dass energieintensive Produktionsprozesse anteilsmässig an Bedeutung für die Volkswirtschaft verlieren.

Ein Hinweis auf den Strukturwandel liefern die Daten aus Tabelle 21 in der Schweizerischen Elektrizitätsstatistik des BFE. Demnach hat sich der Verbrauch in den verschiedenen Sektoren im im Zeitraum von jeweils 10 Jahren durchschnittlich wie folgt verändert:

Veränderung des Stromverbrauchs jeweils in Intervallen von 10 Jahren

Vor allem in die letzten Perioden von 2006 – 2015 bzw. 2010 – 2019 fallen etliche wirtschaftlich schwierige Jahre. Ausgelöst durch die Finanzkrise ab 2008 und die darauf folgende hohe Bewertung des Schweizer Frankens, hat die Exportwirtschaft mit einer Verlagerung von Produktionsstandorten aus der Schweiz reagiert. Vieles deutet auf einen strukturell bedingten Wandel hin, weil wegen den hohen Produktionskosten in der Schweiz industrielle Prozesse mit tiefer Wertschöpfung nicht im Land gehalten werden können. Gleichzeitig ist die Schweiz ein attraktives Zuwanderungsland für hoch qualifizierte Arbeitnehmer geblieben – vorab für solche aus dem Dienstleistungsbereich. Sowohl im Dienstleistungsbereich wie auch bei den Haushalten werden trotz Bevölkerungszuwachs mittlerweile Effizienzverbesserungen bei der Nutzung elektrischer Energie sichtbar.

Paradoxerweise begünstigt auch der Klimawandel vorläufig noch einen Rückgang des Verbrauchs. Weil mittlerweile rund 10% des Stromverbrauchs für Heizungen gebraucht wird, die Winter aber wärmer werden, steigt der entsprechende Strombedarf weniger schnell als die Verbreitung der Wärmepumpen. Ein stärkerer Bedarf nach Kühlung im Sommer könnte das mit der Zeit wieder ändern. Der grössere Bedarf für Klimaanlagen fällt allerdings recht gut mit steigender Stromproduktion aus PV-Anlagen zusammen.

Einflussfaktoren und deren Wirkung auf den Energieverbrauch werden im Bericht des Bundesrates vom 8. Dezember 2017 erörtert.

Bis vor nicht allzu langer Zeit gingen verschiedene Stromnachfrageprognosen von namhaften Akteuren für 2050 von einer weiterhin zunehmenden Nachfrage aus. Z.B. BFE 2007: 63-80 TWh im Jahr 2035; VSE 2006: 70-90 TWh im Jahr 2050; Energietrialog: mindestens 70 TWh, BFE 2011: 62-85 TWh, Prognos/TEP/Infras 2020: 75TWh. Zunehmend rückt der zukünftige Bedarf für Elektromobilität und Elektrolyse in den Fokus.

Die Energiestrategie 2050 stellt diesen Prognosen ein Szenarium mit einem Verbrauch gegenüber, der über 20 TWh tiefer liegt. D.h. der Verbrauch soll trotz Bevölkerungswachstum, Substitution von fossilen Energieträgern, Elektrifizierung des Individualverkehrs und der Verbreitung neuer Anwendungen nicht höher als heute liegen. Die Annahmen der Energiestrategie 2050 zur Entwicklung des Verhältnisses von Stromverbrauch zu BIP sind auf folgender Grafik dargestellt:

Seit 2005 entwickelt sich das Verhältnis von BIP zum Stromverbrauch in Richtung der Szenarien POM & NEP

Die Szenarien der Energiestrategie 2050 des Bundesrates beruhen auf einem umfangreichen Modell mit vielen Einflussgrössen und Zusammenhängen. Es handelt sich allerdings nicht um Prognosen sondern sog. «was-wäre-wenn» Berechnungen. D.h. die Inputgrössen werden als gegeben vorausgesetzt, wo hingegen diese in der realen Schweiz durch einen kompromissorientierten gesellschaftspolitischen Prozess gestaltet werden und auch von unvorhergesehenen Ausseneinflüssen abhängen. Ob und welche Szenarien sich bewahrheiten werden, wird die Zukunft zeigen. Man erkennt auf jeden Fall, dass der flachere Trend ab 2005 in eine Richtung zeigt, die tiefer liegt, als das «Weiter wie bisher» Szenarium (WWB), das bis 2050 von einem Strombedarf von 67 TWh ausgeht. Das Szenarium «Weiter wie bisher» (WWB) bedeutet eine konsequente Weiterführung der bisherigen Energiepolitik des Bundesrates mit einer Vielzahl von laufend neuen Massnahmen, wie sie in der Schweiz seit der Erdölkrise in den Siebzigerjahren zum ersten Mal ergriffen wurden. Die beiden anderen Szenarien gehen von einer eigentlichen Trendumkehr aus. Das BIP steigt weiter an, während der Stromverbrauch sinkt.   

Trendprognosen — Verlängerungen von beobachteten Entwicklungen in die Zukunft — hängen stark von der verwendeten Datenbasis ab. Je kürzer das Basisintervall ist, umso gewagter werden Aussagen, die über die unmittelbare Zukunft hinausgehen.

Es entspricht zwar der Erfahrung, dass das nächste Jahr nicht grundlegend anders als das gerade laufende sein wird, trotzdem ist es immer wieder erstaunlich, mit welchem Tempo die Gesellschaft gewisse v.a. technologische Errungenschaften akzeptiert und in den Alltag integrieren kann — andere wiederum nicht. Es sieht auf jeden Fall so aus, dass noch bevor die von hoheitlicher Energiepolitik in Aussicht gestellte «hohe Dosis Planwirtschaft» und «die Massnahmen grosser Eindringtiefe», die zum Erreichen der «was-wäre-wenn» Ziele nötig wären, überhaupt greifen können, zumindest beim Stromverbrauch eine Stabilisierung bereits Realität ist. Wie aus obiger Tabelle ersichtlich, hat der Strukturwandel in der Industrie den grössten Einfluss.

Es ist müssig, sich über das Antlitz der Welt in 40 Jahren zu streiten. Viel wichtiger ist es, möglichst Dinge zu tun, die später nicht bereut werden müssen. In diesem Sinne ist es sicher sinnvoll, mit natürlichen Ressourcen einen effizienten Umgang zu pflegen und erneuerbare Energien dort einzusetzen, wo sie den grössten Effekt haben. Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der Vernunft.

In der Stellungnahme der GGS zur Energiestrategie des Bundesrates ist darüber genaueres zu erfahren.

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